CZH-learning-steps

Autor: Michael Winkler

Mir ist immer wieder mal gesagt worden, ich würde so schnell lernen. Dabei habe ich selbst aber nie das Gefühl gehabt, dass ich für irgendwas besonders begabt wäre. Ganz im Gegenteil, ich denke, dass ich für alles immer besonders viel arbeiten musste.

Heute habe ich allerdings ein paar Erklärungen, warum dies für andere manchmal so wahrgenommen wurde.

Allgemein sagt man, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen viel besser und schneller lernen können, richtig? Scheint ja meistens auch so zu sein, aber warum ist das so, und ist das wirklich nicht zu ändern?

 

Einzelne Schritte im Lernvorgang

Meister Chen Zhonghua´s Lehrer, Meister Hong Junsheng, legte 5 chronologische Lernschritte dar, welche für ein erfolgreiches Taiji-Training nötig sind. Und ich bin mir sicher, dass dies nicht nur für unser Taiji gilt:

  1. beobachten
  2. imitieren
  3. trainieren, üben
  4. testen, z.B. mittels Partnerübungen
  5. analysieren und Fragen stellen

In dieser Reihenfolge! … Fällt was auf?
Also beobachten ist beobachten, ist nicht interpretieren, ist nicht imitieren, ist nicht fragen oder analysieren …
Imitieren ist imitieren, ist nicht fragen, ist nicht analysieren …
Trainieren ist trainieren, ist nicht ….
Mit testen, analysieren und fragen, na da haben wir vielleicht langsam keine Probleme mit der Umsetzung mehr, das kennen wir gut, richtig?

Es ist recht offensichtlich, dass wir als Erwachsene diese Prozedur in aller Regel genau umgekehrt haben wollen.
Kinder machen das anders.

 

Ein Blick auf unserer Kleinsten

Schauen wir mal auf die ganz Kleinen, die Neugeborenen. Die haben noch nichts, was sie mit den neu zu lernenden Dingen in Verbindung bringen könnten. Die hören komplette Sätze und sehen komplette Handlungsabfolgen und imitieren, was sie eben gerade erwischen, ganz ohne zu hinterfragen, warum oder wozu sie dies tun, geschweige denn sich mit der Frage aufzuhalten, ob ihr tun denn gerade richtig oder gut ist. Oder aber sie spielen gerade mit irgendwas rum, und ganz zufällig entdecken sie dabei Sounds oder allerlei potentielle Verwendungsmöglichkeiten. Absichtsloser Weise!

Wenn wir als gebildete Erwachsene genauso verfahren wollen würden, dann müssten wir erst mal lernen, alle Konzepte und Wertungen völlig beiseite zu lassen. Ansonsten ist beobachten nicht beobachten, und wir haben keine Chance, “einfach nur zu imitieren”, vom spielerischen “rumprobieren” mal ganz zu schweigen …

 

Raus aus der Komfortzone

Um was wirklich Neues zu lernen ist es unerlässlich, die “Komfort-Zone des Bekannten” zu verlassen. Wir müssen uns auf das nicht-Wissen einlassen, und im physischen Taiji-Training bedeutend dies, Bewegungen und Haltung zuzulassen, die nicht unseren Gewohnheiten entsprechen, ja diesen sogar oft genau entgegen gesetzt sind. Dies fühlt sich in aller Regel am Anfang alles andere als gut an …

“Chen Taijiquan Practical Method” möchte transformieren, und zwar auf einer sehr konkreten und klaren Ebene.
Dies wird in unserem Stil ziemlich deutlich, wenn wir auf die klare, technische Ebene der Kampfkunst zurück kommen. Wir wollen den Effekt eines Hebels schaffen, anstatt mit mehr Kraft zu kämpfen. Nur der Hebeleffekt wird mühelos, das kennen wir aus dem Alltag. Auf die Kampfkunst bezogen bedeutet dies, dass wir den Kampf am Kontaktpunkt überwinden müssen. Dies ist die große Schwierigkeit schlechthin, da wir hierfür die gewohnheitsmäßige Reaktion völlig ins Gegenteil drehen und den Körper auf eine zunächst völlig unbekannte Art und Weise bewegen lernen müssen. Nichts von dem, was wir bis dahin kennen ist hier von Nutzen, wir fangen alle völlig bei Null an, wenn wir uns auf diesen Weg einlassen.

Wenn wir Taijiquan also ernsthaft lernen wollen, dann sind wir unweigerlich gezwungen, uns wieder auf die ursprüngliche und natürliche Lernweise von kleinen Kindern einzulassen. Andernfalls haben wir zwar eine ganz hübsch aussehende Bewegungsform, doch werden wir uns nur im Kreis drehen und können die echten, waren Fähigkeiten kaum lernen.

Und dieses von Null anfangen fühlt sich für die meisten nicht gut an. Wenn wir das jedoch schaffen, dann können wir Dinge lernen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Und ich persönlich glaube sogar an die Möglichkeit, dass wir es schaffen könnten, prinzipiell auch schneller und effektiver als kleine Kinder zu lernen, sofern es uns gelingt, diese Haltung wieder zu erlangen und beizubehalten.

Raus aus der Komfortzone, und Du wirst lernen, schnell lernen!
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2 Kommentare zu „Raus aus der Komfortzone, und Du wirst lernen, schnell lernen!

  • 24. Februar 2016 um 9:55 Uhr
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    Sehr schöner Artikel! Ist im Kampfsport ebenso. Wenn ich die Fortschritte der Kinder beobachte und dann auf mich schaue, stelle ich jedesmal fest: Die Kinder lernen einfach schneller und sind besser. Ich denke mir dann immer “naja, sie haben halt den Kopf frei – sie belastet nichts u.s.w.”. Doch mit deinem Artikel und den 5 Lernschritten, die, glaube ich, auf so ziemlich alle Kampfkunst- und sportarten Anwendung finden, fühle ich mich gleich viel besser. Danke!

    • 24. Februar 2016 um 23:49 Uhr
      Permalink

      Na dann wünsche ich viel Entdeckerfreude beim testen! Ich bin ja davon überzeugt, dass uns allen das echt helfen kann, wenn wir uns diese 5 Schritte immer wieder bewusst machen.

      Und vielen Dank für den Kommentar!

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